Marthas Toaster

Vor drei Jahren waren Markus und seine Frau Sarah in ihre neue Wohnung im Vorort D. gezogen, weil sie hier einen kleinen Garten hatten, mit Himbeeren und Tomaten und weil Markus Tante Martha in der gleichen Straße lebte. Seit seine Eltern vor siebzehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, war sie seine einzige Verwandte. Da sie nun älter wurde, wollte er gerne wieder in ihrer Nähe wohnen. Mit der Zeit wurde Marthas Gesundheit schlechter, sie lief nur noch langsam, stets auf ihren Holzstock gestützt. Er war froh, dass Sarah sich so gut mit seiner Tante verstand, ihr öfters eine Suppe kochte und regelmäßig nach dem Rechten sah, auch wenn er abends mal wieder lange in der Kanzlei bleiben musste. Wenn sie am Wochenende im Wohnzimmer alle zusammen saßen bei Kaffee und Apfelkuchen, dann stellte Martha ihren Stock beiseite und erzählte ihm ohne Pause, von früher, ihrer Jugend, ihren Freunden und den Ferien, dem Badesee und ihrer ersten Liebe. Manchmal sprach sie so schnell, dass sie sich verschluckte und husten musste. Markus legte ihr dann erst die Hand auf den Rücken und nahm sie dann in den Arm. Und während sie sich beruhigte, rollten ihr ein, zwei Tränen über ihre Wangen.
Ein halbes Jahr später war Martha überraschend verstorben. Es war Anfang November. Als sie ihr Hausarzt wie jeden Dienstagvormittag besuchte, fand er sie leblos im Bett liegen. Sie sei friedlich eingeschlafen, hat er gesagt, so wie sie es sich immer gewünscht hat.
Als Markus in den darauf folgenden Wochen das kleine Haus von Martha ausräumte, fiel es ihm schwer, sich von den alten Sachen zu trennen: von dem Sofa mit dem brauen Bezug, auf dem sie so oft zusammen gesessen und erzählt hatten, von der mächtigen Standuhr im Flur, die an jede volle Stunde mit einem lauten Gong erinnerte und von den vielen Büchern aus ihrem Regal, von denen er weder die wenigen Autoren kannte, noch die zahlreichen Titel, die sie geschrieben hatten und die alle ein bisschen ähnlich klangen. Aber der Geruch der Bücher war ihm vertraut. Vieles hätte er gerne behalten, aber Sarah überzeugte ihn schließlich, dass es das Beste sei, sich von den alten Sachen zu trennen, ihre Wohnung sei zu klein für die mächtigen Möbel. Und schließlich habe er das Wichtigste – die schönen Erinnerungen – immer bei sich, in seinem Herzen. Als die Wohnung nach zwei Wochen ganz leer war, hatte Markus fast alles weggegeben. Nur den alten Toaster hatte er behalten, auch wenn Sarah skeptisch die Stirn runzelte, als sie ihn das erste Mal in ihrer Küche sah. Der Toaster war aus silbernem Blech und hatte seine besten Tage bereits hinter sich; aber er funktionierte noch, was Markus selbst ein bisschen wunderte, schließlich hatte er ihn bereits während er sich auf das Abitur vorbereitete, jeden Morgen benutzt.
Seit damals hatte er lange kein geröstetes Brot mehr gegessen. In seiner Studentenbude in L. hatte er keinen Toaster. Und nach 14 Semestern hatte er die alte Gewohnheit vergessen, so dass er auch in der gemeinsamen Wohnung mit Sarah nie einen solchen vermisst hatte.
Aber nachdem Martha beerdigt war und der silberne Toaster seinen Platz neben dem Herd gefunden hatte, erinnerte er sich an früher. Von nun an begann er sich jeden Morgen zwei Scheiben Weißbrot zu toasten und wie damals dünn mit Erdbeermarmelade zu bestreichen. Sarah aß wie bisher Müsli mit Früchten und Quark. Beim Anblick des Toasters schüttelte sie noch manchmal den Kopf. Neben der neuen Einbauküche und der weißen Mikrowelle wirkte er noch etwas älter als er bereits war. Aber sie sagte nichts. Und die Wochen vergingen.
In der Adventszeit schien der Toaster dann einen Schaden zu haben. Jedes Mal, wenn Markus in benutzte, kam die Brotscheibe nicht gleichmäßig geröstet aus dem Gerät heraus: während ein Großteils der Scheibe wie bisher goldbraun schimmerte, waren in der Mitte derselben kleine verbrannte Flecken zu sehen. Markus versuchte erst die Stufen zu wechseln, drehte von vier auf 2 hinunter und wieder hinauf. Aber nichts veränderte sich. So wurde es für ihn zur morgendlichen Routine, dass er mit seinem Messer zunächst über die getoasteten Brotscheiben kratze, um das Verbrannte zu entfernen. Doch wunderte er sich mit der Zeit, dass die verbrannten Stellen jeden Tag ein bisschen anders aussahen und manchmal glaubte er Muster und sogar Buchstaben darin zu erkennen. Das sei Unsinn, sagte Sarah, er habe schon immer ein bisschen zu viel Phantasie gehabt, er solle das kaputte Gerät entsorgen. Da Markus an dem Erbstück hing, brachte er es kurz vor Weihnachten zur Reparatur. Als er es am Weihnachtsmorgen abholte, war er auf die Rechnung gespannt, aber noch viel mehr auf die Erklärung. Der Angestellte der Werkstatt, ein junger Bursche mit roten lockigen Haaren und Sommersprossen im Gesicht, gab ihm jedoch den Toaster zurück ohne einen Cent zu verlangen. „Das Gerät ist vollkommen in Ordnung“, sagte er, „Sie müssen es verwechselt haben. Sie können uns ja nach den Feiertagen ihren kaputten Toaster vorbeibringen.“ „Nein, nein, ich habe mich nicht geirrt,“ entgegnete Markus „ich habe nur diesen einen und der verbrennt die Brotscheiben in der Mitte, jedes Mal.“ Der Bursche schaute ihn etwas ungläubig an, während er das Gerät an die Steckdose anschloss, aus einem Seitenschrank zwei Schreiben Weißbrot hervorholte, sie in die Schlitze fallen ließ und mit einer Daumenbewegung in das silberne Objekt versenkte. Die Drähte begannen zu glühen. Drei Minuten später sprangen die Brotscheiben wieder hinaus. Der Rothaarige legte sie erst auf den Tisch und drehte sie dann noch einmal um. Sie waren geröstet, aber nicht verbrannt, an keiner Stelle.
Markus trug den Toaster unter dem Arm nach Hause. Auf dem Weg schüttelte er immer wieder den Kopf. Vielleicht hatte er zuviel gearbeitet in der Anwaltskanzlei. Die vielen Überstunden, das konnte ja nicht auf Dauer gut gehen. Sarah hatte bestimmt Recht, wenn sie ihm sagte, er solle sich öfters mal entspannen, sich eine Auszeit gönnen. Zu Hause angekommen ging er in die Küche. Er sah durch das Fenster er in den Garten. Sarah stand an der Hecke und schnitt mit ihrer grünen Gartenschere die Zweige zurecht. Er lächelte als er sie so beobachtete. Ihre blonden Haare hingen ihr über den Wintermantel. Sie gab sich immer so viel Mühe mit dem Garten, gerade vor den Feiertagen. Alles sollte sauber sein und seine Ordnung haben. Wenn der Boden nicht gefroren wäre, würde sie jetzt auch noch Unkraut rupfen, dachte er und wendete seinen Blick wieder dem Toaster zu.
Er wollte es erneute versuchen, steckte zwei Weißbrotscheiben hinein. Als sie ihm kurze Zeit später entgegen sprangen, stieß er einen heftigen Schrei aus. Die Scheiben waren wieder verbrannt in der Mitte, auf beiden Seiten. Doch diesmal konnte er ganz deutlich Buchstaben darin erkennen und aus den Buchstaben Silben und Wörter: „Sie hat mich ermordet“, stand auf der einen Scheibe und auf der anderen nur ein Name „Sarah“.

 

 

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