Drei Kisten

 

Der Kellner fragt mich, ob ich Kaffee bestellt habe. Ich weiß es nicht mehr und sage ja. Er stellt die weiße Tasse vor mir auf den Tisch, dann dreht er  sich um und geht und murmelt dabei ineinandergeschlungene Worte, die ich nicht verstehen kann.
Ich hole meine Brieftasche aus der Jacke. Zum dritten Mal in dieser Stunde, glaube ich und ich weiß es hat keinen Sinn. Die Papiere sind weg. Heute Morgen. In der U-Bahn. Alles. Pass, Kreditkarten, die Euroscheine und die Dollarnoten. Drei Jungen. Nur das Münzgeld haben sie mir gelassen.
Ich bin zu R. gefahren, weil ich ihn jedes Mal als erstes besuche, wenn ich zurückkomme, obwohl ich nicht weiß, ob er sich freut, wenn ich plötzlich auftauche oder ob ich ihn wirklich sehen will. Mit jedem Besuch schrumpfen die Worte, die wir uns sagen, werden kleiner und weniger. Das Schön-Dass-Du-Da-Bist ist schon lange durch ein Hallo ersetzt. Schweigepausen bekämpft er, indem er mich fragt, ob ich essen will.
Aber diesmal war R. verschwunden. Das Namensschild fehlte an der Klingel. Kein Licht brannte hinter den Fenstern. Im Flugzeug hatte ich mir seinen Blick vorgestellt, zwei Augen, die durch meine Haare wandern, um meine Ohren herum bis zum Kinn. Ich hatte mich selbst dabei beobachtet, wie ich auf seinen Dachboden steige, die Kartons aufklappe, einen nach dem anderen, wie ich das rote Fotoalbum heraushole, durchblättere, die silberne Uhr von meinem Vater darunter finde und in meine Tasche stecke. Sie hatte mir gefehlt.
Ich ziehe mein Notizbuch hervor, die Finger streichen über die Namen und Nummern. Ich berühre ihren Namen – M. – in der letzten Zeile. Mit Bleistift unterstrichen. Sie sieht mich an. Ich schaue weg. Sie wollte alles richtig. Ich vielleicht. Ein weißes Kleid, hat sie gesagt. Endlich für immer. Mit dir. In drei Kisten hatte ich alle meine Sachen gepackt.
 
Der Kellner kommt noch einmal zu mir herüber. Meine Hand greift nach der Brieftasche. Er will wissen, ob ich Herr D. sei. Ich schaue mich um. Ob ich Herr T. D. sei, wiederholt er seine Frage. Ich weiß es nicht. Jemand wartet auf mich, sagt er, am Telefon, es sei dringend. Ich stehe auf und gehe in die Richtung, in die sein ausgestreckter Arm zeigt, seine abgekauten Fingernägel, in einen schmalen Gang hinein. Zwischen den Toilettentüren hängt das Telefon, der Hörer in der Luft, ich greife danach, atme ein Hallo hinein. „Ich brauche deine Hilfe. Meine Schlüssel sind weg, ich kann sie nicht finden. Mir ist kalt. Beeil dich bitte.“
Eine Stimme sagt „bis gleich“, bevor eine Hand den Hörer auflegt und zwei Beine sich zum Ausgang bewegen.
 
November, 2006

 

 

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